Es sind hehre Ziele, die das Familienministerium verfolgt: Mit seinem Förderprogramm „Demokratie leben!“ soll der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und das Verständnis für Demokratie gefördert werden. Im vergangenen Jahr hat das Ministerium von Lisa Paus (Grüne) 182 Millionen Euro für teilweise schillernde Projekte ausgegeben.

Bei „iJuLa“ können sich Jugendliche zum Beispiel die Haare schneiden lassen, wenn sie sich sonst bei Friseurinnen und Friseuren nicht wohlfühlen. Und bei der „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“ sitzt eine bekennende Marxistin im Vorstand . In der Flut zahlreicher Projekte finden sich nicht wenige, bei denen der Bezug zur Demokratieförderung nicht auf den ersten Blick deutlich wird.

Paus-Ministerium legt Verträge mit Maulkorb-Klauseln vor

Ob Paus‘ Förderprogramm tatsächlich zu einer lebendigen Demokratie beiträgt, sollen externe Organisationen wissenschaftlich untersuchen. So kann der Erfolg unabhängig von eigenen politischen Interessen gemessen werden – so zumindest die Idee. Angesichts der lauter werdenden Kritik an „Demokratie leben!“ wäre eine solche Evaluation nötiger denn je. Allerdings ist jetzt unklar, inwieweit die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler künftig noch Mängel im Programm aufzeigen dürfen.

Das Familienministerium vergibt gerade die Evaluation für die Jahre 2025 bis 2028. Im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung wurden auch Musterverträge online gestellt. Darin sind Klauseln verankert, die dem Haus von Paus weitreichende Kontrollmöglichkeiten über die wissenschaftliche Begleitung einräumen.

Das Vertragswerk macht an vielen Stellen deutlich, wer künftig das Sagen haben wird. „Die Auftragnehmerin ist bei der Leistungserbringung an Weisungen der Auftraggeberin gebunden“, heißt es zum Beispiel. Oder: „Die Berichte bedürfen der Abnahme durch die Auftraggeberin.“ Zudem müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Themen ihrer Berichte mit dem Ministerium abklären, dürfen keine eigene Pressearbeit machen und sind in einigen Punkten zur Geheimhaltung verpflichtet.

Insider fürchten Unterdrückung kritischer Ergebnisse

Mehrere Menschen, die sich mit dem Förderprogramm auskennen, zeigen sich im Gespräch mit FOCUS online alarmiert. Zwar entspräche das Vertragswerk in Teilen der üblichen Praxis, wie Ministerien mit externen Auftragnehmern zusammenarbeiten, sagt einer. Allerdings stehe dieses Vorgehen zurecht in der Kritik – und das Familienministerium gehe mit seinen Vertragsentwürfen besonders rigide vor.

„Wenn das Ministerium die Verträge streng auslegt, wird es keine Möglichkeit mehr geben, wissenschaftlich frei zu dem Programm zu arbeiten und kritische Befunde der Öffentlichkeit zugängig zu machen“, so ein Insider. Die Evaluation werde regelrecht zu einer „geheimen Mission“, weil die Arbeit abgeschirmt von der Öffentlichkeit stattfinden müsse. Daran, dass das Haus von Lisa Paus auf die harten Klauseln der Verträge pochen wird, hat er keine Zweifel.

Denn auch früher sei es schon zu Einmischungsversuchen gekommen. Auf welcher Grundlage diese geschehen sind, lässt sich nicht genau sagen. Bisher wurden die Evaluationsaufträge nicht öffentlich ausgeschrieben. Es gibt deshalb keine frei zugänglichen Vertragsentwürfe. Die Zuwendungsbescheide und deren Inhalte, in denen Einzelheiten festgehalten wurden, will das Ministerium nicht zitieren. Der Insider versichert aber, dass die Klauseln nun deutlich weitreichender seien. Eine andere Person aus dem Umfeld des Förderprogramms bestätigt das.

Druck wurde mit grüner Übernahme des Ministeriums größer

Bislang habe es zum Beispiel lediglich eine formale Abnahme gegeben. Dabei sei aber zum beispiel nur geprüft worden, ob das Logo des Ministeriums korrekt abgebildet wurde. Aber auch inhaltliche Änderungswünsche habe es des Öfteren schon gegeben. Sie würden teils kontrovers diskutiert zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Paus-Seite. „Es ist eine Gratwanderung, aber wir konnten eigentlich immer unsere wissenschaftliche Freiheit verteidigen. Bislang hatte das Ministerium auch keine Handhabe, um seine Wünsche durchzusetzen“, so der Insider.

Diese Handhabe könnten die neuen Verträge nun schaffen. Und auch der Ton hat sich verschärft: „Die Scharmützel zwischen Ministerium und Evaluatoren sind in den vergangenen zwei bis drei Jahren immer mehr und heftiger geworden“, berichtet der Insider. Der zunehmende Druck hat also genau zu der Zeit begonnen, als die Grünen mit der Ampelkoalition das Familienministerium übernommen haben.

Das Ministerium ließ einen umfangreichen Fragenkatalog von FOCUS online zunächst unbeantwortet. Später erklärte ein Sprecher knapp, bei den von Insidern kritisierten Regelungen handele es sich um solche, „wie sie in öffentlichen Ausschreibungen absolut üblich sind“. Es bestehe keine Einschränkung der Evaluation.

Evaluation befördert interessante Kritikpunkte zutage

Sollten die Insider, mit denen FOCUS online gesprochen hat, recht behalten, könnte die Evaluation im Vergleich zu früheren Förderperioden künftig zu einem Lobgesang auf das Programm werden. Für die Diskussion um Sinn und Unsinn des Förderprogramms wäre das ein Verlust. Denn wenn die wissenschaftliche Begleitung nicht geschönt ist, kann sie durchaus interessante Kritikpunkte an dem Programm zutage befördern.

In einer Halbzeitbilanz zur aktuellen Förderperiode stellen die Wissenschaftler zum Beispiel fest: „Aktivitäten in der Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit im Bereich des islamistischen Extremismus werden innerhalb des Programms im Vergleich zum Bereich Rechtsextremismus eher punktuell gefördert.“

Außerdem erreiche man mit den Projekten kaum Menschen, die von Antisemitismus betroffen seien, auch beim Thema Inklusion hapere es noch. Schließlich gebe viele bürokratische Hürden, die kleinere Projekte abschrecken würden. Das könnte das Ziel des Programms gefährden, möglichst viele verschiedene Themen zu fördern.

FDP droht Paus mit finanziellen Kürzungen

Dass solche Punkte auch künftig öffentlich kritisiert werden dürfen, mahnt Silvia Breher auf Anfrage von FOCUS online an. Sie ist die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Expertin für das Förderprogramm. „Wir erwarten vom Bundesfamilienministerium eine ergebnisoffene, umfassende, transparente und kritische Evaluation des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘. Es darf zu keiner bestellten Auftragsarbeit kommen.“

Die FDP, Koalitionspartner der Grünen, beäugt das Förderprogramm und die Maulkorb-Verträge ebenfalls kritisch. Martin Gassner-Herz, Berichterstatter der Fraktion für das Programm, hat schon mehrfach im Ministerium Transparenz angemahnt, wie er FOCUS online erklärt. Allerdings habe das Parlament keine direkten Einflussmöglichkeiten auf die Richtlinien- und Vertragsgestaltung durch das Familienministerium.

Sollte Paus auf die Kritik nicht reagieren, droht Gassner-Herz mit Konsequenzen: „Wenn dort keine ausreichende Transparenz für die Zukunft hergestellt wird, damit das Programm fachlich seriös gesteuert werden kann, haben wir als Parlament ausschließlich die Möglichkeit, über die Budgetierung im Bundeshaushalt zu reagieren.“ Eine Kürzung der Gelder wäre für Paus besonders schmerzhaft – denn dann müsste das ein oder andere schillernde Demokratie-Projekt auf Eis gelegt werden.

Previous article
Next article