Den USA steht einer der bisher härtesten Wahlkämpfe bevor. Kamala Harris möchte eine zweite Amtszeit von Donald Trump verhindern. Ein Experte erklärt, was jetzt besonders wichtig wird.

Auf einmal fühlt es sich wie Wahlkampf an. Und einen, der richtig spannend ist. Am Samstagmorgen warten auf einer Farm in Cumberland County, einer konservativen Ecke des „Swing State“ Pennsylvania, mehr als 300 Menschen darauf, dass die Show beginnt.

Das Wetter ist prächtig, die Stimmung fröhlich-angeregt, die riesige US-Flagge an der roten Scheune gibt dem Veranstaltungsort auf dem Acker eine besondere Bedeutung, aus den großen Lautsprechern wummert Musik. Zuhörer tragen T-Shirts, Ansteck-Buttons und Schilder, auf denen „Stolzer Demokrat“ oder „Let’s win this.“ steht.

Eigentlich sollte es nur ein kleines Event werden, bei dem der demokratische Gouverneur des Bundesstaates, Josh Shapiro, die Freiwilligen für die nächsten Wochen motiviert.

Neues Leben im US-Wahlkampf Trump gegen Harris

Doch seit US-Präsident Joe Biden mit seiner Rückzugsentscheidung einem fast schon verloren gegebenen Wahlkampf neues Leben eingehaucht hat, ist auf einmal alles anders. Die Demokraten haben wieder Hoffnung geschöpft – mit Vizepräsidentin Kamala Harris an der Spitze.

„Vor einer Woche hatten sich die Amerikaner mit der Wahl zwischen Biden und dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump abgefunden“, sagt der Wahlforscher Charlie Cook dem Tagesspiegel. „Umfragen zeigten, dass viele unglücklich darüber waren. Heute, da Vizepräsidentin Kamala Harris an der Spitze eines neuen demokratischen Wahlkampftickets steht, sind die Demokraten neugierig auf den bevorstehenden Wahlkampf und sogar aufgeregt, denn die Wahl 2024 wird spannend.“

Viel Zeit bleibt Harris nicht – in 100 Tagen wird bereits gewählt. Ob sie es am 5. November schafft, Trumps Rückkehr ins Weiße Haus zu verhindern, hängt vor allem von diesen Faktoren ab.

Faktor 1: Geld

Seit einer Woche gibt es jeden Tag einen neuen Rekord: Die Spendenflut für die frisch aus dem Boden gestampfte „Harris for President“-Kampagne ist ein Frühindikator dafür, dass die Karten im Rennen um das Weiße Haus neu gemischt wurden.

In weniger als einer Woche wurden mehr als 200 Millionen Dollar gesammelt, wobei mehr als zwei Drittel der Gesamtsumme von Erstspendern stammen, wie die Kampagne am Sonntag mitteilte.

In den vergangenen Wochen, bevor Joe Biden seine Hoffnungen auf eine zweite Amtszeit begrub, waren die Spenden für die Präsidentschaftskampagne deutlich zurückgegangen. Vor allem Großspender hatten ihre Zuwendungen gestoppt, um ihr Geld nicht einem Präsidenten zur Verfügung zu stellen, dem kaum mehr Chancen auf einen Sieg zugerechnet wurden.

Das frische Geld ist wichtig für Harris, da sie ihre Botschaften in nur wenigen Wochen ins Land tragen muss. Für die Trump-Kampagne, die nach dem aus Bidens Sicht desaströsen TV-Duell vor einem Monat gerade erst die finanzielle Lücke zu den Demokraten geschlossen hatte, sind das deutliche Warnsignale.

Wahlforscher Cook glaubt zwar nicht, dass Geld allein eine Wahl entscheiden kann. „Aber als Messgröße für die Energie und die Tatsache, dass die Demokraten sich wieder engagieren, ist das viele Geld relevant – und wenn die Spendenflut ausgeblieben wäre, hätte Harris verloren.“

Faktor 2: Mobilisierung

Um im November erfolgreich zu sein, müssen beide Parteien ihre Wähler an die Urnen bringen. Für die Republikaner scheint das kein Problem zu sein: Bei ihrem Nominierungsparteitag in der vorvergangenen Woche wirkte die Partei geschlossen wie seit Jahren nicht.

Die Wahl von Trump zum Kandidaten und die von SenatorJ.D. Vance zu seinem Vize („running mate“) erfolgte in absoluter Harmonie. Der Wille, den 78-Jährigen zurück an die Macht zu bringen, wurde klar sichtbar.

Anders bei Biden: „Die Demokraten hatten ein Problem mit dem Enthusiasmus und fehlender Energie, was sich in einer geringeren Wahlwahrscheinlichkeit der Jüngeren, von Schwarzen und Latinos niederschlägt“, sagt Wahlforscher Cook. „Die Entscheidung für Harris wird ihnen bei jungen Leuten auf jeden Fall helfen, und auch bei den Schwarzen, zumindest bei schwarzen Frauen.“

Seit der TV-Debatte hätten sich die Umfragen noch nicht dramatisch verändert. „Aber die Wahrscheinlichkeit, dass diese Gruppen an der Wahl teilnehmen, sank damit, und die Wahrscheinlichkeit, dass Biden es schaffen würde, mehr als die Hälfte der Unentschlossenen für sich zu gewinnen, war danach praktisch gleich null.“

Harris habe nun eine faire Chance, „die Mehrheit der Unentschlossenen zu erreichen und mindestens die Jungen zu mobilisieren“.

Faktor 3: Swing States

Die sechs Swing States, in denen sich die Wahl voraussichtlich entscheidet, sind Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin. „Auch nach dem Wechsel an der Spitze der Demokraten sind es dieselben“, sagt Cook.

„Aber bis vor einer Woche war es so schlimm geworden, dass die Demokraten anfingen, sich berechtigte Sorgen darüber zu machen, ob weitere Staaten wackeln, die sie eigentlich für sicher hielten. Diese Befürchtung können sie nun wohl beiseiteschieben.“

Harris hat bereits begonnen, den Abstand zu Trump in den Swing States zu verringern. Dessen größter Vorsprung ist in Arizona, wo er fünf Punkte vor Harris liegt. Als Biden der Kandidat war, lag Trump zehn Punkte vorn. In Georgia und Pennsylvania liegt der ehemalige Präsident nur zwei Punkte vor Harris, in Michigan einen Punkt, und in Wisconsin sind beide punktgleich.

Faktor 4: Partei-Zusammenhalt

Die Republikanische Partei 2024 ist die Trump-Partei. Das hat der Parteitag in Milwaukee anschaulich gezeigt. Alle Kritiker des mehrfach angeklagten Ex-Präsidenten sind derzeit verstummt oder haben sich so von der Partei entfernt, dass sie kaum mehr Einfluss auf die personelle Aufstellung haben.

„Der Faktor, der die Demokraten am meisten vereint, ist Donald Trump“, sagt Cook. Wie schnell die Partei sich hinter Harris versammelt hat, ist erst mal ein Zeichen dafür, dass auch ihr wie Biden die Sorge vor einer Rückkehr Trumps nutzt.

Bemerkenswert ist neben der Spendenflut die Tatsache, dass sich in der vergangenen Woche 170.000 Personen als Wahlkampf-Helfer verpflichten ließen. Der Enthusiasmus ist groß.

Faktor 5: Themen

Zwei wichtige Themen des Wahljahrs 2024 sind eng mit Harris verbunden: die Abtreibungsfrage, bei der die 59-Jährige in den vergangenen Monaten sehr sichtbar war, sowie die Lage an der Grenze. Während die Trump-Kampagne versucht, über Ersteres gar nicht mehr viel zu reden, nutzt sie das Grenz-Thema bereits für ihre Attacken auf die Vizepräsidentin.

Als Biden Harris 2021 den Auftrag gab, die „Ursachen“ der Migration zu bekämpfen, verliehen ihr die Republikaner den zweifelhaften Titel „Border Czar“ (Grenz-Zarin). Diesen Titel verwenden sie nun regelmäßig, um Harris Scheitern vorzuwerfen. Für die Wähler ist die Migrationsfrage eines der Top-Themen.

Die Demokraten wiederum hoffen darauf, dass ihnen die Abtreibungsfrage wie in den vergangenen Jahren hilft. Für ihre Wählerinnen und Wähler steht diese Frage ganz oben auf ihrer Sorgenliste, neben Ängsten, dass die Republikaner weitere Rechte einschränken und generell das demokratische System aus den Angeln heben könnten.

Entscheidend wird aber auch sein, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Angesichts der zementierten Polarisierung in den USA kommt es vor allem auf die unentschiedenen Wähler an. „Das sind typischerweise Leute, die sich Sorgen machen, ob sie ihre Miete oder ihre Hypothek bezahlen und Lebensmittel auf den Tisch stellen können“, sagt Wahlforscher Cook. „Sie haben nicht den Luxus, am Küchentisch zu sitzen und über die Zukunft der Demokratie diskutieren.“

Der Hauptgrund von Bidens Umfrageschwäche habe sich nicht in Luft aufgelöst: „Die Demokraten sind erleichtert, dass die Altersfrage vom Tisch ist. Aber die Tatsache, dass viele Wähler besorgt über die hohen Lebenshaltungskosten sind, hat sich nicht geändert. Bidens Probleme sind auch Harris‘ Probleme.“

Von Juliane Schäuble

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